Montag, 22.10.2018

Erfahrungen mit Androcur®

von Max

 

Marco hat von seinen Erfahrungen mit SSRIs (Antidepressiva mit triebdämpfender Wirkung) geschrieben. Ich möchte von meinen Erfahrungen mit Antiandrogenen berichten, die ich während meiner Behandlung an der Charité eingenommen habe. SSRIs kamen für mich nicht in Frage, da mir gesagt wurde, sie würden sich mit den Medikamenten, die ich wegen meines Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms (ADS) einnehme, eventuell nicht vertragen. (Was später aber wieder relativiert wurde.) Antiandrogene wirken auf die Testosteronrezeptoren und blocken die Wirkung des männlichen Geschlechtshormons. Die Bildung von Testosteron sollte zwar nicht beeinflusst werden, trotzdem lässt seine Wirkung nicht nur im Gehirn, sondern auch in anderen Bereichen nach. Bartwuchs, Neugierde, Konkurrenzgeist usw. können ebenfalls abnehmen.

Die Charité bot mir zu Beginn der Behandlung eine unterstützende Medikation an, und das wollte ich auf jeden Fall ausprobieren. Gelegenheit dazu hatte ich ab Mitte 2006. Ich ließ mir zum ersten Mal Androcur® spritzen (was gewöhnlich 14-tägig gemacht wird) und spürte sofort eine Wirkung: Die Gedanken an Sex nahmen schnell an Stärke und Häufigkeit ab. Die eigentliche Wirkung setzt zwar erst allmählich nach 6-8 Wochen ein, aber bei mir zeigen solche Langzeit-Medikamente oft schon in den ersten Tagen eine deutliche Wirkung. Ich fühlte, wie das Verlangen und die Gedanken an Sex schwächer wurden – eine herrliche Befreiung! Die Sexualität war plötzlich nicht mehr so wichtig. Dafür spürte ich zum ersten Mal in meinem Leben schmerzlich, dass mir funktionierende Freundschaften fehlten. Das war mir zuvor herzlich egal gewesen. Mir schien, dass ich wohl mein ganzes Leben lang einfach zu stark auf Testosteron reagiert hatte, trotz gesundem Hormonspiegels.

Ich hatte lange Zeit keine Nebenwirkungen, außer ein gelegentliches starkes Schwitzen in der Nacht und verringerten Bartwuchs (was ich äußerst praktisch fand). Wahnsinn! Einfach frei! Die Impulse nahmen ab, und damit all meine Probleme, wie die lähmende Angst vor der Neigung an sich. Diese Erfahrung war für mich sehr hilfreich, ermöglichte sie mir doch einen distanzierten Blick auf mich selbst und besonders auf die pädophile Neigung. Es gab mir eine Auszeit und ich konnte das alles mehr von außen betrachten. Die Fantasien verschwanden aber nicht, auch nicht ihr „Zauber“. Doch ihre immense Wichtigkeit schwand und – wie es schon viele andere ausgedrückt haben – ich konnte mich erstmal anderen Dingen widmen, meine Empfindungen ordnen.

Ich plante mein Leben eigentlich mit dauerhafter Einnahme von Androcur®, so positiv empfand ich die Wirkung. Ab Frühjahr 2007 ging es mit mir jedoch gemütstechnisch bergab. Meine Gedanken begannen immer wieder um Probleme zu kreisen und das ließ sich nicht stoppen. Es zermarterte mir das Hirn (und Herz). Eines Tages las ich in der Uni eine E-Mail von einer guten Freundin (in die ich mich – noch unbewusst – bis über beide Ohren verliebt hatte), die mich sehr traurig stimmte. Auf Details will ich nicht eingehen, aber ich konnte mich unter dem Druck plötzlicher überspitzter Hilflosigkeit und Trauer nicht mehr auf dem Stuhl halten und bin buchstäblich zusammengebrochen. Glücklicherweise war ich da gerade allein im Computerraum, denn wenn mich jemand so gesehen hätte, sie hätten es für irgendeinen Anfall gehalten.

Dieser Zusammenbruch markierte den Beginn einer weiteren Medikation, die mir zu deutlich mehr Ruhe verhalf. Wieder schaffte ich zunächst Dinge, die ich nicht für möglich gehalten hätte, auch in der Bewältigung meiner ADS-Problematik. Ursache scheint im Nachhinein jedoch leider Androcur® gewesen zu sein. Für ein paar Monate erhöhte ich die Androcur®-Dosis, da die Impulse und der Drang zur Masturbation wieder fast zwanghafte Züge angenommen hatten. Daraufhin setzten bei mir jedoch Depressionen bis hin zu regelmäßigen Selbstmordgedanken ein. Nach vielen Gesprächen mit den zuständigen Ärzten setzte ich die Dosis jedoch eigenmächtig wieder herab – und meine Psyche kam wieder ins Lot. Dann stimmten mir auf einmal alle Ärzte zu, dass meine Intuition richtig gewesen sei. Diese verspätete Erkenntnis muss wohl eine Krankheit sein, die sehr viele Mediziner befällt, denn ich habe es in meinem Leben schon sehr oft erlebt, dass mein Gefühl, meine Erfahrung und meine Selbstbeobachtung (nach fachkundiger Beratung!!) oft eher Recht behielten, als die Herren Doktoren mit ihren Ideen. Womit ich natürlich nicht ihre Fachkompetenz infrage stellen will, denn ohne ihre Beratung hätte auch mein Bauchgefühl herzlich wenig genutzt. Aber der Bauch findet halt manchmal Zusammenhänge, für die der Verstand blind ist.

In den folgenden Monaten war zunächst wieder alles bestens: Wenig Drang, wenig Masturbation, wenig Fantasien, mehr Kraft zur Zurückhaltung gegenüber Kindern. Aber leider kamen im Spätsommer 2008 die Depressionen wieder zurück. Auch die Impulse wurden wieder so stark, wie ich es vor Androcur® nicht gekannt hatte. Also redete ich erneut mit den Ärzten und setzte das Medikament schließlich ganz ab. Gleichzeitig hielt ich mir den Weg offen, jederzeit zur Charité zu kommen und unmittelbar eine neue Medikation zu beginnen – mit einem anderen Mittel, das möglicherweise weniger Nebenwirkungen hat, dafür aber auch andere Risiken birgt.

Die Wochen danach gehören zu den interessantesten und lehrreichsten Erfahrungen meines Lebens: Langsam, Woche für Woche, sah ich das sexuelle Empfinden wieder aus der Versenkung auftauchen – in einem Tempo, dass ich mich mit jeder Facette genau auseinander setzen konnte. Ich konnte meine wieder erlangte Sexualität bewerten: sie Stück für Stück in mein Selbstbild integrieren und darüber nachdenken, wie jeder Aspekt einzuschätzen ist:

‒ Was macht das mit mir?

‒ Kann diese Komponente gefährlich werden? Wann und wie?

‒ Wie könnte man sie kontrollieren?

‒ Wo und wann wäre sie dagegen angebracht?

‒ … und so weiter.

Letzten Endes geht es mir heute besser als die meiste Zeit unter (und vor) Androcur®. Ich musste den Service der Urologischen Poliklinik, die das Medikament bis dahin verschrieben hatte, nicht wieder in Anspruch nehmen. Trotzdem sehe ich die Zeit der Medikation als sehr wertvolle Erfahrung, die ich auch weiterempfehlen möchte. Sie bietet die Gelegenheit, besser mit der eigenen Angst umzugehen und eine Ruhe zu finden, die für mehr Freiheit in den Gedanken sorgt. Damit wurde es mir leichter, andere Umgangsweisen mit der Pädophilie zu durchdenken, zu erlernen und auszuprobieren. Ohne Androcur® hätte ich das nicht so schnell geschafft. Die Ruhe, die sich durch die Entmachtung der Impulse ergibt, kann eine sehr große Erleichterung für jemanden sein, der eine Neigung von so hohem Gefahrenpotential in sich trägt. Und nicht jeder wird dabei Depressionen bekommen, wie ich mittlerweile von einem anderen Studienteilnehmer bestätigt bekam.

Heute habe ich effektiv wieder mehr Kraft, mich mit meiner Pädophilie auseinander zu setzen. Ich bin auch wieder fähig, mein Leben mit Zuversicht zu sehen. Das möchte ich immer wieder betonen, um anderen Mut zu machen, sich ihren Impulsen nicht zu ergeben, weder durch sexuelle Übergriffe noch durch Resignation. Bis Heute habe ich schon mehr erreicht, als ich anfangs zu träumen gewagt hätte! Das Gemüt schwankt natürlich manchmal (in einem gesunden Rahmen), aber ich kann endlich die krankhafte Angst begraben, die mich bisher bei jedem Kontakt mit kleinen Mädchen begleitet hatte - niemals aber die gesunde Furcht (Psalm 111:10; Sprüche 1:7) und die kontinuierliche Arbeit an mir selbst!.

© 2009 Max

aktualisiert: 13.08.2013