Montag, 22.10.2018

Was erwartet mich in einer Therapie?

 

Eine pädophile Ausrichtung ist nicht heilbar, aber gut behandelbar. Auf diesen Nenner lässt sich der derzeitige Erkenntnisstand zusammenfassen. Niemand kann erwarten, von seiner Pädophilie geheilt, also auf Erwachsene „umgepolt“ zu werden. Trotzdem gibt es bis heute immer noch Therapeuten, die genau dies versuchen. Zumeist sind es Anhänger der psychoanalytischen Schule, die davon ausgehen, dass auch ein Pädophiler zu einer reifen Form von Sexualität finden könne, wenn es ihm gelingt, seine frühkindlichen Konflikte zu überwinden. In der Fachwelt ist allerdings kein einziger nachgewiesener Fall bekannt wo jemand seine pädophile Ausrichtung vollständig überwunden hätte.

In der Sexualmedizin geht man davon aus, dass die sexuellen Vorlieben eines Menschen bei Abschluss der Pubertät endgültig festgelegt und danach nicht mehr grundlegend beeinflussbar sind. Das gilt für die Pädophilie genauso wie für alle anderen sexuellen Vorlieben. Als Pädophiler muss ich mich damit abfinden, dass meine Gefühle für Kinder nicht wieder verschwinden, sondern ein lebenslanger Bestandteil meiner Persönlichkeit bleiben werden. Diese Erkenntnis kann zunächst sehr bitter sein, trotzdem müssen wir sie nach heutigem Erkenntnisstand als gegeben hinnehmen.

Das bedeutet aber nicht, dass therapeutische Hilfe sinnlos ist, oft ist sie sogar bitter notwendig. Das gilt vor allem dann, wenn jemand seine Sexualität nicht unter Kontrolle hat und Gefahr läuft, einem Kind etwas anzutun. Auch der innere Leidensdruck ist für Pädophile oft sehr groß, denn die eigene Sexualität nicht leben zu können, ist für viele eine schwere Belastung, mit der sie nicht allein fertig werden. Schwere Depressionen bin hin zu Selbstmordgedanken können die Folge sein, auch dann ist professionelle Hilfe dringend notwendig.


Grundlagen einer Therapie

Was erwartet mich in einer Therapie? Verallgemeinern lässt sich diese Frage nicht, denn jeder Pädophile ist anders. Jeder hat seine ganz eigenen Probleme, weshalb auch jede Therapie individuell abgestimmt werden muss. Der eine hat mehr mit Triebproblemen zu kämpfen, ein anderer leidet unter Sekundärsymptomen wie Depressionen oder Minderwertigkeitsgefühlen. Von daher kann es keine einzig richtige Therapieform geben; jede Therapie muss den Patienten immer dort abholen, wo er steht. Dennoch gibt es bestimmte Eckpunkte, an denen man eine gute Therapie erkennen kann und auf die man achten sollte.

Am Anfang einer jeden Therapie steht die Diagnose. So muss z. B. geklärt werden, ob jemand sexuell ausschließlich auf Kinder ausgerichtet ist oder ob er auch sexuelle Ambitionen gegenüber Erwachsenen hat, was für die therapeutische Prognose von großer Bedeutung ist. Bei Straftätern, die bereits einen sexuellen Übergriff begangen haben, muss außerdem geklärt werden, ob überhaupt eine pädophile Sexualpräferenz im eigentlichen Sinn vorliegt (vergl. Sind alle Missbrauchstäter pädophil?) Ein guter Therapeut wird zunächst bestrebt sein, sich ein umfassendes Bild von der gesamten Lebenssituation des Hilfesuchenden zu machen. Da stehen Fragen an, bei denen es um weit mehr geht nur als um die Sexualität:

– Was ist der Grund, warum jemand Hilfe sucht?

– In was für einem Umfeld lebt der Hilfesuchende?

– Wie steht es um seine persönliche Stabilität?

– Wie sind seine sozialen Bezüge?

– Welche Probleme und Konflikte stehen im Vordergrund?

– Wo sind in der Vergangenheit bereits Erkrankungen oder Komplikationen aufgetreten?

– Gibt es entscheidende Eckpunkte in der Biographie, wichtige Schlüsselerlebnisse oder auffällige Brüche?

Solche und ähnliche Fragen wird sich jeder Therapeut stellen und gemeinsam mit dem Patienten nach Antworten suchen. Man sieht also: Es geht nicht nur um die aktuellen Situation, sondern auch um die Vorgeschichte. Häufig wird der Patient auch gebeten, standardisierte Diagnose-Fragebögen auszufüllen, die es dem Therapeuten erlauben, die Angaben nach einem einheitlichen Verfahren auszuwerten und zu vergleichen. Auch eine körperliche Untersuchung kann zur Diagnose dazugehören, wenn man vermutet, dass organische Erkrankungen eine Rolle spielen könnten. Nach der Diagnose erfolgt die Formulierung der Therapieziele. Im Gespräch zwischen Therapeut und Patient geht es darum, die Situation des Hilfesuchenden aufgrund der diagnostischen Befunde realistisch einzuschätzen. Da geht es um Fragen wie:

– Was möchte ich erreichen?

– Woraus ergibt sich meine Therapiemotivation?

– Wie stark ist mein Leidensdruck?

– Wo ergeben sich Ansatzpunkte für Veränderungen?

– Wie erfolgversprechend ist eine Therapie? Welche Ziele sind realistisch, welche nicht?

Von fachlicher Seite unterscheidet man zwischen Therapiebedürftigkeit, Therapiefähigkeit und Therapiewilligkeit.1) Die Therapiebedürfigkeit ist bei einer pädophilen Ausrichtung immer dann gegeben, wenn jemand Gefahr läuft, die Kontrolle über sein Verhalten zu verlieren und einen sexuellen Übergriff zu begehen. Sie ist auch gegeben, wenn jemand unter einem so starken Leidensdruck steht, dass er in seinem privaten, sozialen oder beruflichen Umfeld stark beeinträchtigt ist. Die Therapiefähigkeit richtet sich nach Faktoren wie Intelligenz, psychischer Stabilität, der Fähigkeit zur Selbstreflexion oder danach, ob noch andere psychische Störungen vorliegen, die unter Umständen vorrangig behandelt werden müssen. Bei der Beurteilung der Therapiewilligkeit werden Faktoren wie Motivation, Krankheitseinsicht, Leidensdruck und ähnliches hinterfragt.


Psychotherapeutische Gespräche

Die eigentliche Behandlung besteht vor allem aus psychotherapeutischen Einzelgesprächen. Sie sollen dem Patienten helfen, sich seiner Situation besser bewusst zu werden, die Hintergründe zu verstehen und sich selbst realistisch einzuschätzen. In der klassischen Gesprächstherapie animiert der Therapeut den Patienten zur Selbstanalyse und schlägt neue Gedankengegänge vor, die in festgefahrenen Situationen oft ganz neue Perspektiven aufzeigen. Vor diesem Hintergund zeichnen sich dann oft ganz neue Lösungsansätze ab, die vorher nicht sichtbar waren. Der Ansatz der Charité besteht allerdings nicht aus klassischer Gesprächstherapie, sondern aus einem ganz eigenen, selbstentwickelten Konzept, das verhaltenstherapeutische und sexualmedizinische Ansätze miteinander vereint. Die Philosophie, die dahinter steht, deckt sich größtenteils mit meiner eigenen, denn auch bei der Charité geht man davon aus, dass es sehr viel wirksamer ist, Persönlichkeitsmerkmale wie Problembewusstein, Selbstreflexion und Selbstverantwortung zu stärken, statt auf Strafandrohung und Repression zu setzen.

Ein Grundsatz gilt für jede Therapie: Der Therapeut gibt zwar Anregungen und Hilfestellung, wird einem erwachsenen Menschen aber niemals die Entscheidung abnehmen können, in welche Richtung er sein Leben verändern möchte. Diese Entscheidung bleibt allein beim Patienten, der natürlich auch die Verantwortung für seine Entscheidungen trägt. Etwas anders gilt höchstens dann, wenn sich jemand in einem psychischen Ausnahmezustand befindet, der jedes klare Urteilsvermögen ausschließt, z. B. bei einer akuten Psychose. Eine sexuelle Präferenzabweichung ist aber noch lange kein Grund, jemanden aus der Eigenverantwortung zu entlassen, im Gegenteil: Gerade von pädophilen Patienten wird jeder Therapeut ein besonders hohes Maß an Eigenverantwortung einfordern. Die Bereitschaft, für sich und sein Verhalten die Verantwortung zu übernehmen, ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie, darüber sollte sich jeder im Klaren sein. Erzwungene Therapien, die nur auf Druck von außen zustande kommen, sind sinnlos und von vornherein zum Scheitern verurteilt.

 

Literatur:

1) Ahlers Ch. J., Schaefer G. A., Feelgood S. R., Goecker D., Neutze J., Mundt I. A., Hupp E., Beier K. M. (2006): „Das Präventionsprojekt Dunkelfeld“, Vortrag auf der 21. Forensische Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Methodologie und Dokumentation in der Forensischen Psychiatrie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Ludwig-Maximilian Universität München, 05.bis 07.10.2006 (aktualisierte Unterlagen von 2009)

aktualisiert: 02.04.2012