Jay-Jay ist 2006 Mitte fünfzig und Patient im Therapieprojekt Kein Täter werden. Er hatte ein sehr bewegtes Leben hinter sich, bevor er sich an die Charité wandte, um sich wegen seiner pädophilen Ausrichtung behandeln zu lassen. Es beginnt mit der trostlosen Kindheit und geht weiter über die nicht weniger schwierige Jugend, als er sich das erste Mal über seine pädophilen Gefühle bewusst wurde. Im Erwachsenenalter beginnt die mühevolle Suche nach einer Lebensperspektive, mit vielen Rückschlägen und Enttäuschungen. Als er diesen Text schreibt hat Jay-Jay es geschafft, ein einigermaßen stabiles Leben zu führen.
Schon meine Kindheit und Jugend waren nicht gerade auf Rosen gebettet. An meine Mutter kann ich mich so gut wie gar nicht erinnern. Ich habe so ziemlich alles mitgemacht: Keine Mutter, Schwerstalkoholiker zum Vater, Aufwachsen bei den überforderten Großeltern unter ärmlichsten Verhältnissen. Es gab nur je einen Wohn- und Schlafraum, lediglich ein Etagenklo war vorhanden. In der Küche war die Urgroßmutter mit fortgeschrittenem Krebs untergebracht. Den Schlafraum teilten wir uns zu viert, ein weiterer Raum war untervermietet an eine alte Dame. Ständig musste ich unangenehme, ekelhafte oder peinliche Dinge erleben. Bis zum 15. Lebensjahr hatte ich so ziemlich keinen Tag erlebt, wo ich nicht ständig von der Großmutter beschimpft wurde. Außerdem wuchs ich ohne Zärtlichkeit auf. Von meiner Großmutter wurde ich gezwungen, mich bei meiner Urgroßmutter zu verabschieden, wenn ich zur Schule gehen musste, obwohl ich vorher mit ansehen musste, wie sie sich beispielsweise ihren Kot mit bloßen Händen unter der Decke hervor holte und ihn dann auf dem Küchentisch in Papier wickelte. Schon allein der Geruch um sie herum nahm mir den Atem. Täglich ein schlimmes Erlebnis, dessen Eindrücke ich in der Schulzeit kaum verarbeiten konnte.
Ich musste mich auch in Anwesenheit der Untermieterin öffentlich nackt waschen. Meine Großeltern, durch zwei Kriege geprägt, waren krankhaft geizig. So wurde auf dem Klo statt Toilettenpapier, Seidenpapier benutzt, welches vorher Hüte ausstopfte, damit die in Form blieben. Holen musste ich das immer, wenn es knapp zu werden drohte. Meine Großmutter hatte die widerliche Angewohnheit, Ihr gebrauchtes Papier mit in die Wohnung zu tragen. Statt einer Klobürste benutzte sie ebenfalls ihr gebrauchtes Papierbündel. Es störte sie nicht, wenn die Nachbarn sich auch gerade im Treppenhaus aufhielten und das tropfende Papier sahen. Meine Großmutter pflegte grundsätzlich abends vor dem zu Bett gehen in einen Nachttopf zu urinieren. Sie hatte aber auch kein Problem damit, ihren Stuhlgang darin zu verrichten. Am nächsten Tag wurde die Hinterlassenschaft entsorgt. Ich lag immer genau in der Blickrichtung, so dass ich wenn ich aufwachte sofort diesen, für mich widerwärtigen Anblick hatte. Auf diese Weise lernte ich ihren gesamten Körper kennen. Alles an ihr war riesig und für mich unansehnlich. Gewaschen hatte sie nur ihre riesige Operationsnarbe (42 Stiche!) nach einer Brustamputation, sonst nichts. Kleidung wurde bei uns ebenfalls nicht gewaschen und gewechselt.
Unsere ganze Familie litt unter gesellschaftlicher Ächtung, weil mein Vater ein stadtbekannter Alkoholiker war. Die Eltern verboten ihren Kindern unter Androhung von Strafe mit mir zu spielen. Sie spielten dennoch mit mir, ich musste aber auf dem Heimweg weit hinter ihnen gehen. Das tat meinem Selbstbewusstsein unendlich weh. Als Kind hatte ich schon so wenig Selbstbewusstsein, dass ich häufig regelrecht durch die Gegend schlich, um ja nicht erkannt zu werden. Wenn ich mal durch fremde Leute oder auch durch Verwandte gelobt wurde hieß es immer: „Du oder ihr ( ich habe noch einen Bruder), könnt ja von Glück reden, noch so geworden zu sein“. Also waren wir nicht gut, sondern nur „noch so“, was immer das bedeuten mochte. Mich hat das nie gefreut, sondern nur mein Selbstbewusstsein geschwächt. Zu allem Unglück versuchte sich Großmutter das Leben zu nehmen. Zu ihrem Verdruss riss aber der Strick. Ich verständigte darauf hin meinen Onkel väterlicherseits, der spontan seine Eltern zu sich nahm und meinen Bruder und mich wie Vieh zu unserem Vater trieb. Er begleitete uns im Auto, während wir uns zu Fuß auf den Weg machen mussten. Lauthals verkündete er allen Leuten, auf welchen Marsch wir uns befanden und warum wir ihn durchführten. Das war so peinlich, ich brauchte Monate, ehe ich mich wieder auf der Straße zeigen mochte. Drei Tage nach dem „Viehtrieb“ verstarb meine Großmutter bei meinem Onkel Sie setzte sich einfach mit einem Strick um den Hals hin und wartete, bis sie erstickt war. Sie hätte auch jederzeit wieder aufstehen können. Nennt man das lebensmüde? Mein Großvater lebte völlig vergrämt auch nur noch ein paar Monate. Auf dessen Begräbnis kam es zur letzten Begegnung mit dem Familienzweig rund um meinen Onkel.
Auch das Leben beim Vater unsicher und gefährlich: Nie war Geld da um Essen zu kaufen, er versoff alles. Die Wohnung ein ständiges Chaos dem ich nicht Herr zu werden vermochte. Auch hier ausgesprochen widerwärtige Dinge erlebt, in allen Schränken vergammelte Lebensmittel vorgefunden. Mein Vater selbst war mir ekelhaft, ich kann mich nicht daran erinnern, wann er sich mal gewaschen hat. Er hatte die Angewohnheit in einen Eimer zu urinieren. Wenn er voll war, blieb er stehen, bis ich mich überwinden konnte ihn zu leeren. Der Gestank war dann unbeschreiblich. Einmal ging mein Vater mit einer Schere auf mich los und wollte mich erstechen, immer wenn er voll war, war er unheimlich aggressiv. Er war vom Kriege her beinamputiert. So war es kein Problem für mich, den armen besoffene Krüppel umzustoßen. Ein Anlauf genügte. Allerdings den eigenen Vater so zu behandeln habe ich bis heute nicht so recht verwunden. Zu allem Überfluss holte er dann auch noch die Polizei. Ich versteckte mich in der Zwischenzeit auf dem Dachboden. Als die Polizei dann sah was los war, zog sie auch gleich wieder ab, ohne nach mir zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich mir das erste Mal das Leben nehmen. Allerdings fehlte es mir auf dem Dachboden an Möglichkeiten. Die Tat war ja nicht geplant, sondern ich hatte mich nur so geschämt über die ganze Sache, dass ich nicht mehr leben wollte.
Bald darauf, am Tage meiner Konfirmation, kam ich zu meiner Tante mütterlicherseits. Ich hatte mich nach dem kirchlichen Akt an den Pastor gewandt Der nahm noch am selben Tag Kontakt mit meiner Mutter auf, die in Amerika wiederverheiratet war. Ferner besorgte er mir den Platz bei Onkel und Tante. Ich fuhr dort im Konfirmationsanzug hin, ohne weitere Sachen mitzunehmen. Zu meinem Vater traute ich mich nicht mehr. Ich schlief eh schon die ganze Zeit mit abgeschlossenen Zimmer und geplanten Fluchtweg durchs Fenster, für den Fall, er hätte versucht, die Tür gewaltsam zu öffnen. Auch bei Onkel und Tante verlief meine Zeit ohne Glück. Meine Mutter nahm zwar sofort Kontakt auf. Ich hörte, wie sie nachts anrief. Auch schickte sie sofort Geld, damit ich aus meinem Konfirmationsanzug kam. Sie war auch sofort bereit, mich in Amerika aufzunehmen. Leider beriet mich mein Onkel dahin gehend, ich solle doch zunächst meine Schule hier in Deutschland beenden und dann erst nach Amerika gehen. Den entsprechenden Brief an meine Mutter ließ er mich allerdings allein schreiben. Ich schätze mal ein 15-Jähriger ist nicht gerade in Diplomatie geübt. Jedenfalls war das Angebot meiner Mutter, mich nach Amerika zu holen, das letzte, was ich von ihr hörte. Bis heute, nun schon fast 40 Jahre lang. Darunter leide ich ebenfalls noch heute.
Mein Aufenthalt bei meinem Onkel dauerte auch nicht lange. Daran war ich selber Schuld. Ich hatte dort im Ort Anschluss an Jugendliche in einem nahen Jugendheim gefunden. Die boten mir eine Flasche Bier an, die ich nicht abzulehnen wagte. Außerdem war ich neugierig darauf. Leider fiel das meinem Onkel auf. Er warf mich kurzerhand mit der Begründung raus, ich sei für seine Kinder kein Umgang und würde sie womöglich noch verderben. Das war der letzte Kontakt zu diesem Familienzweig. Dann die Rückfahrt in Angst zu meinem Vater. Wusste ich was passieren wird? Ich habe ihn schließlich verlassen Er beschimpfte mich ja vor meinem Fortgang schon damit, „ein Vater könne wohl hundert Kinder ernähren, aber hundert Kinder nicht einen Vater“. Die Wiederaufnahme verlief glimpflich, ja er freute sich sogar. Geändert hatte sich aber nichts. Nach kurzem Aufenthalt von ein paar fürchterlichen Wochen erlebte ich die Unterbringung in einem Heim. Einen Tag vor der Überbringung ins Heim sah ich meinen Vater zuletzt. Er befand sich noch auf Sauftour, und wenn nicht, hätte er volltrunken seinen Rausch ausgeschlafen. Ich hörte erst wieder von ihm, als mein Bruder und ich seine Hinterlassenschaft erben sollten. Für die paar Mark wollten wir ihn dann umbetten lassen, was aber unmöglich war, weil drei Armengräber in Frage kamen und keiner sagen konnte, in welchem er denn nun liegen würde. So kam ich noch zu einem „Erbe“. Ich kann mich nicht genau erinnern, aber es waren wohl um die 2500 Mark entweder für jeden oder für beide zusammen. Die Adresse zu meiner Mutter habe ich auf der Rückfahrt von Onkel zum Vater verloren. Mein Gepäck wurde damals aufgegeben, damit ich nicht so viel schleppen musste. Leider hatte ich nie genug Geld, am Ankunftsort mein Gepäck auszulösen. Damit waren die Chancen für einen Kontakt minimal geworden.
Dann die Zeit meiner Heimunterbringung, einer der schwärzesten Abschnitte in meinem Leben. Meine sexuelle Neigung lernte ich recht früh kennen. Ich wusste zwar nicht was mit mir los war, aber dass ich anders empfand, als meine Altersgenossen, wusste ich sehr deutlich. Ich konnte nur nicht darüber sprechen. Mit wem auch? Als ich ins Heim kam, wusste ich schon mindestens zwei, drei Jahre, dass ich mich sexuell von wesentlich jüngeren Kindern angezogen fühlte. 1966, als der Fall Jürgen Bartsch durch die Presse ging, erhielt ich die letzte Bestätigung Ich war mir nur noch nicht sicher, ob überwiegend von Jungen oder von Mädchen oder gar von beiden. Das Heim, in dem ich wohnte, wurde während meines Aufenthalts von einem reinen Lehrlingswohnheim in ein Heim für Schwererziehbare, wie sie damals hießen, umgestellt. Es fehlte an allen Ecken und Enden an Personal. So fand ich Gelegenheit, mein „pädagogisches“ Talent unter Beweis zu stellen. Ab ungefähr diesem Zeitpunkt geriet mein Leben zu einem einzigen Spießrutenlauf. Während meiner Aushilfen erlebte ich meine sexuelle Neigung pur. Auf die Kinder wurde nicht viel Rücksicht genommen. Es wurde in Gruppen und unter Aufsicht geduscht und das in einem Alter, das in meinen Augen relativ schambesetzt ist. Ich war zu der Zeit absolut sexuell verklemmt und so wurde ich durch den bloßen Anblick eines vorpubertären Geschlechtsteils oder den passenden nackten Kinderhintern total sexuell erregt und ich hatte auch den Wunsch, mich mit den entsprechenden Kindern sexuell durch Anfassen des Penis sexuell betätigen. Dass es dazu nicht kam, ist für mich bis heute ein reines Wunder. Ich stand ständig unter sexueller Anspannung. Mir genügte allein das Wissen, über das Aussehen von favorisierten Jungen, denn deren Geschlechtsmerkmale kannte ich ja durch die Duschaufsicht, die ich immer wieder führte. Ich erlebte diese Zeit als fürchterlich. Ich war verwirrt über meine Neigung, wusste aber auch gleichzeitig, wie tabuisiert das ganze war. Um nicht tatsächlich tätig zu werden, habe ich bis zu fünf oder gar zehnmal täglich onaniert, ab und zu mehrfach hintereinander. Das gab mir die Sicherheit, mich beherrschen zu können. Tatsächlich wurde ich in dieser Zeit von meiner Neigung beherrscht. Ich war kaum in der Lage etwas anderes zu tun, als mich zu beherrschen. Darunter litt alles. Ich kam mit meinem Schlaf nicht aus, obwohl ich täglich 12 Stunden schlief. Meine Körperhygiene habe ich ebenfalls vernachlässigt. Ich trank, weil ich mich nur im Suff selbst ertragen konnte. Damals war ich im Alter von 16-17 Jahren. Ich konnte an nichts anderes denken als Sex, Sex und noch mal Sex. Ich hielt mich für total abartig, zwanghaft und unberechenbar einerseits und auf der anderen Seite für ein absolutes Dreckschwein, unsozial und lebensunwert.
An dieser Auffassung halte ich übrigens bis heute in groben Zügen fest. Über alle meine Probleme konnte ich natürlich nicht reden. Ich hatte ja die gleichen Normen und Werte vermittelt bekommen, wie alle in unserer Gesellschaft und spätestens seit J. Bartsch wusste ich ja das Übel in mir zu benennen. Nach meiner Heimunterbringung ging es folgendermaßen weiter:
Eines stand für mich fest: Um Gottes Willen nicht in der Pädagogik zu arbeiten! Doch genau das wurde für mich vorgesehen. Aus meinem eigenen Empfinden heraus hätte ich damals jede Wette abgeschlossen, eines Tages tätig zu werden. Das galt es in jedem Fall zu verhindern. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als mich zu verweigern. Daher habe ich insgesamt drei Ausbildungen in der Pädagogik abgebrochen. Noch in der Ausbildung lernte ich damals ein 12-jähriges Mädchen kennen, meine spätere Lebensgefährtin. Ich verliebte mich sofort in sie, wandte mich aber auch gleich von ihr ab, ich war schließlich volljährig und sie noch ein Kind. Meinen Bruder störte das weniger, das erfuhr ich aber erst später, als wir dann doch noch ein Paar wurden.
Mein ganzes Leben litt ich unter fürchterlichen Spannungen. Sie setzten sich aus vielfältigen Dingen zusammen. Zunächst meine Sexualität. Das Leben wurde mit den Jahren immer freizügiger und somit auch die Kleidung der jungen Mädchen. Inzwischen wusste ich sicher, dass sie es waren, denen mein sexuelles Interesse galt. Ich war ständig deren Reizen ausgeliefert. Häufig musste ich dringend nach Möglichkeiten suchen, mich zu befriedigen, weil ich die Spannung sonst nicht ertragen habe. Unter keinen Umständen wollte ich aktiv werden. Das Maß, was das an Beherrschung kostet, ist wohl nicht zu beschreiben. Wohl aber die Auswirkungen. Ich litt unter riesigen Schuldgefühlen, hatte Angst davor, mich eines Tages nicht mehr beherrschen zu können, habe mich und meine Sexualität und damit auch meine Genitalien gehasst, bis hin zu Kastrationsfantasien, die bis heute vorhanden sind. Hinzu kamen Verfolgungs- und Erkennungsängste. So bildete ich mir ein, jeder könne mir ansehen, was mit mir los ist, oder ich geriet in eine Art Panik, wenn ich in die Nähe von Polizei kam, weil ich Angst vor einer Verhaftung und der damit verbundenen Veröffentlichung meiner fürchterlichen Fantasien. Ich lief und laufe fast ständig mit einem schlechten Gewissen herum.
Natürlich war Suizid ein Dauerthema. Lange Zeit hielt mich einzig und allein meine christliche Erziehung davon ab, die ja einen Suizid grundsätzlich verbietet. Gleichzeitig war es aber auch genau diese Erziehung, die mir das Leben anständig zur Hölle auf Erden machte. Wie sollte ich von der Schuld und den Sünden, die ich tagtäglich durch meine Fantasien, ja allein schon durch die häufigen Befriedigungen auf mich lud je erlöst werden können. Für mich stand fest, ich kann kein gottgefälliges Leben führen. Meine Neigung als solche ist schon so ungeheuerlich, dass ich zu einem Leben in Sünde und Ächtung verdammt bin. Parallel dazu hielt ich ja eine völlig andere Fassade über mich aufrecht. So wie ich wirklich war, konnte ich ja nicht bestehen. Also zeichnete ich ein völlig anderes Bild von mir. Ich musste eine Scharade spielen, die mir die Anerkennung der Gesellschaft brachte. Dies bedeutete weiteren ständigen psychischen Druck. Praktisch machte sich das so bemerkbar, dass ich mich für verlogen, linkisch und konspirativ hielt. Alles in allem eine Kreatur die nicht wert ist auch nur das geringste zu erwarten oder zu erhoffen, total abartig und der Sünde verfallen, geradezu prädestiniert dazu, ein Leben als Abschaum zu führen. Dieses Selbstbild halte ich jetzt ungefähr 40 Jahre aufrecht. Weshalb ich bei meinem dauerhaften schlechten Gewissen kein Kandidat für ein Magengeschwür war, bleibt mir bis heute ein Rätsel, ich erkläre mir das immer damit, ich soll möglichst pur mein Scheißleben führen ohne mich auf irgendeine körperliche Krankheit ausreden zu können. Tödlichen Krebs würde ich dankbar hinnehmen.
Eine Sache war noch zu lösen. Wie konnte ich vermeiden, an Kinder zu geraten? Mir fiel nichts Besseres ein, als deren Nähe möglichst zu vermeiden. Ich wechselte die Straßenseite, wenn sie entgegen kamen. Fuhr lieber eine Bahn später, wenn diese voller Kinder war. Schulen, Turnhallen, Schwimmbäder waren für mich tabu. So entwickelte ich mich zum Eigenbrödler, der ob seiner Verschrobenheit auch schon mal verlacht wurde. Zuletzt konnte ich gar nicht mehr mit Kindern umgehen. Ich trieb mich von selbst in die Isolation. Diese bewahre ich mir bis heute. Einerseits erfahre ich in der Isolation Sicherheit und andererseits bin ich absolut einsam. Es gibt Zeiten, da spreche ich drei, vier zusammenhängende Tage kein einziges Wort. Das ist äußerst unangenehm und kommt einer Bestrafung gleich, wonach ich immer wieder suche, um vor mir wenigstens ein wenig bestehen zu können.
Für alle, die Pädophilie zum Kotzen finden: Noch ein Wort zu meinem physischen Lebenslauf. Es ist sicher hart und erscheint undankbar, wenn ich meine Großmutter so darstelle, schließlich haben die Großeltern meinen Bruder und mich bei sich aufgenommen. Daher gilt in diesem Punkt ihnen auch meine außergewöhnliche Achtung. Dass einiges schief gegangen war, liegt nicht in ihrer Verantwortung. Wie ich schon anfangs erwähnte, waren beide, also auch Großvater restlos überfordert. Ich führe aber meine sexuelle Entwicklung auf die damals erlebten Widerwärtigkeiten zurück und deswegen ist die Erwähnung dieser Dinge eine Unabdingbarkeit. Es gibt keine Schuldigen! Jeder hat versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Für mich blieb nur die Abwendung von den Erwachsenen, hin zu den Kindern. Die sollten meine ganze Liebe und Zärtlichkeiten und alles was an schönen Dingen in mir wohnt erfahren und genießen dürfen. Leider fühlte ich mich auch sexuell von ihnen angezogen, und so konnte ich ihnen Nähe, Zuwendung, Geborgenheit, Hilfe, Förderung, Zuneigung, Zärtlichkeit, Achtung und Verständnis nicht entgegen bringen. Ich sah die einzige Möglichkeit, sie vor mir zu schützen darin, mich von ihnen fern zu halten.
Ja, auch ich finde meine sexuelle Neigung zum Kotzen! Auch ich hätte gern eine andere Sexualität. Ich habe mir diese Scheiß-Sexualität nicht ausgesucht. Inwieweit ich sie verdient habe, müssen andere entscheiden. Ich habe nie einem Kind etwas angetan. Ich wählte freiwillig die Isolation. Manchmal wünsche ich mir, man möge mich wegsperren. Ich erwarte nichts vom Leben, denn ich habe nichts verdient. Das einzige, was ich erwarte ist, dass die Leute mich so annehmen, wie ich bin. Wenn ich Verachtung verdiene, dann mache ich das selber, ich kann das für mich am besten. Keiner ist so streng zu mir, wie ich selbst. Wenn ich so zurück blicke, war mein ganzes Leben eine einzige Bestrafung und ich werde wohl nicht damit aufhören, nur weil ich mich in Therapie begeben habe. Das zu ändern ist ein langsamer langjähriger Prozess.
Und jetzt bitte, liebe Gesellschaft, findet Pädophilie weiterhin zum Kotzen, nicht aber die Leute, die davon betroffen sind, da gibt es Unterschiede, da muss jeder einzelne beurteilt werden. Mir tut die Therapie gut und ich tue alles, um erfolgreich zu sein. Im Augenblick bestimmt sie mein Leben und das ist gut so. Wenn es das Projekt Dunkelfeld nicht gäbe, hätten Pädophile, die nie tätig wurden nichts, was Hilfe bedeutet. Aber nicht die Einzigartigkeit des Projekts, sondern deren Inhalte und Kompetenz der Mitarbeiter machen die effektive Hilfe aus. Aus meiner Sicht ist es unbedingt nötig, dieses Projekt in die Versorgungsstruktur der Krankenkassen aufzunehmen und auszuweiten. Es muss nicht mehr probiert und bewiesen werden. Von der Wirksamkeit der Therapie konnte ich mich schon jetzt überzeugen, obwohl erst Halbzeit ist. Jetzt sehe ich nur noch, dass gehandelt werden muss. Je eher, desto besser.
© 2006 Jay-Jay