Traumatherapie

Angelehnt an meinen Text "Missbraucht und pädophil" möchte ich gern erzählen, wie es in meinem Leben weitergegangen ist. Seinerzeit schrieb ich, dass ich nie eine Traumatherapie gemacht habe. Mittlerweile ist meine Traumatherapie seit vielen Monaten abgeschlossen und ich blicke nun anders auf die Zeit davor. Dieser Gewinn an Erkenntnissen, hat mich zeitweise überwältigt und dazu geführt, dass ich meinen Text weiterschreiben möchte.

Vorgeschichte

Einer der schwierigsten Momente war für mich, von einer Klinik, welche auf die Behandlung überlebender sexueller Gewalt spezialisiert ist, abgelehnt worden zu sein. Abgelehnt deshalb, weil ich pädophil bin. Diese sexuelle Präferenz sieht man mir nicht an und ohne Nennung dieser in diesem Kontext völlig unwichtigen Nebendiagnose, hätte ich die Möglichkeit gehabt, mich intensiv und stationär, mit der Zeit in meinem Leben auseinander zu setzen, die mir so viel genommen hat.

Ich finde es bedauerlich, dass ein Verein, der sich für die Selbsthilfe unter pädophilen Menschen einsetzt, die einzige Institution ist, die Menschen, die sexuelle Gewalt erlebt haben und pädophil sind, hilft. Sicherlich zählen dazu auch einige Therapeut:innen, die sich dieser Thematik angenommen haben, aber das ist noch immer viel zu wenig. Häufig wird man zu KTW (Kein Täter werden) obwohl genau dieses Projekt primär auf Prävention ausgelegt ist. Doch was mache ich, wenn ich mit meiner Sexualpräferenz kein Problem habe und ein verantwortungsbewusstes Leben führe, in dem ich in keiner Weise Kindern schade? Diese Frage konnte mir bis jetzt noch niemand richtig beantworten. Niemand konnte mir bis jetzt beantworten, warum selbst im Kontext einer stationären Therapie das Narrativ des Täters gesponnen wird, welcher traumatisierte Patienten nur durch seine reine Anwesenheit retraumatisiert.

Entwicklung

Positiv hingegen empfinde ich, dass die Sensibilität in der Gesellschaft insgesamt gestiegen ist. Die Menschen sind hellhöriger geworden, achten stärker auf Signale und Verhaltensweisen, die Kinder zeigen können, wenn sie sexuelle Gewalt erfahren. Vermehrt wird auf Konzepte Wert gelegt, die Kinder schützen sollen, und dieser Schutz beginnt schon in der Aufklärung von Kindern, in der man ihnen vermitteln möchte, dass ihr Körper ausschließlich ihnen gehört. Ich erinnere mich an die Zeit, in der die Grenzen und der Willen von Kindern viel weniger akzeptiert wurden und Kindern ein Gefühl vermittelt wurde, dass es unangebracht ist, wenn man gegenüber einem Erwachsenen Nein sagt.

Meine Erfahrung

Nach langer Suche und vielen erfolglosen Anfragen und E-Mails habe ich fast aufgegeben, überhaupt noch einen Therapeuten zu finden. Auch meine Krankenkasse konnte mir nicht helfen, und so suchte ich und merkte, dass ich die Tatsache akzeptieren muss, diese Therapie wohl selbst zahlen zu müssen. Einen Therapieplatz zu bekommen, ist schon schwierig genug. Aber einen mit Kassensitz? ...

Mir war wichtig, ganz ehrlich sein zu können und nach dem ersten Gespräch dachte ich mir, warum ich nicht einfach alles auf eine Karte setze? Ich erzählte meiner Therapeutin in meinem eigenen Tempo von der sexuellen Gewalt, welche ich als Kind erlebt habe, und nahm meinen Mut zusammen und sagte ihr, dass ich pädophil bin. Ich bin pädophil mit dem obligatorischen "und ich bin nie straffällig geworden...". Sie war nicht erschrocken, ihr Blick veränderte sich nicht merklich und es war ein Erfolg, in den Sekunden danach nicht der Praxis verwiesen zu werden.

Über viele Monate begann ich damit, alles zu erzählen. Manchmal fühlte ich mich nach den Sitzungen total erschöpft und manchmal wie befreit, und alles erschien mir viel leichter. Mit der Zeit begannen wir damit, an meinen Flashbacks zu arbeiten. Ich sollte mich ganz langsam meiner Angst stellen, um den wohl schwierigsten Perspektivwechsel durchzuziehen, den ich mir vorstellen konnte. Wir besuchten die Örtlichkeit, an der ein Teil der Gewalt stattgefunden hat, den ich erfahren habe. Ich ging wechselnd in die sichere Distanz und dann wieder bewusst in die gefühlte Gefahr, und so wie es manchmal im Leben dann so ist, traf ich einen Mann, der an diesem Tag wohl vor einer ähnlichen Aufgabe stand. Er stand dort und rauchte, ich sah ihn an und wir redeten. Er bot mir eine Zigarette an und die Luft erschien mir so kalt und voller Angst, dass ich dachte, ich könnte den Qualm zerschneiden.

Ich war stolz auf mich, als ich es schaffte, dort zu verweilen. Morgens fuhr ich sehr gestresst los und fühlte mich, als wäre ich in einem Tunnel, und erst das Knarzen des Getriebes, als ich den falschen Gang einlegte, rüttelte mich wach. Als ich mittags in mein Auto stieg und losfuhr, fühlte ich mich leichter. Ich habe sehr viel Last an dem Ort lassen können, an dem mir diese Last einst aufgebürdet wurde.

Meine Gedanken

Wenn man sich im Internet mit Vereinen und Hilfsangeboten auseinandersetzt, die sich für Kinder einsetzen, die sexuelle Gewalt erlebt haben und/oder Eltern beraten, dann fehlt mir persönlich eine Erklärung zu dieser Thematik. So wie das Gendern für eine sprachliche Präsenz und Berücksichtigung sorgt, um Menschen ein und nicht auszuschließen, genauso können kurze Erläuterungen zu Begrifflichkeiten und sinnvolle Verlinkungen helfen. Es gibt überlebende sexueller Gewalt, die pädophil sind und in den bestehenden Hilfsangeboten nicht berücksichtigt werden. Für mich als Vereinsmitglied von SuH, bis zu einem gewissen Grad verständlich, da durch die Stigmatisierung der Pädophilie und der Traumatisierung der Überlebenden, kein gemeinsamer Stuhlkreis möglich ist. Andererseits sollte keine hohe Mauer zwischen Projekten existieren, die jedem, für sich einen Beitrag dazu leisten, Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen, Hilfe zu vermitteln und zu beraten. Es ist bekannt, dass die Zahl der Suizidversuche bei jungen Menschen mit einer pädophilen Sexualpräferenz besonders hoch ist. Die Zahl der Komorbidität und Folgen für das gesamte Leben von überlebenden sexueller Gewalt, ebenso. Hier geht es um Menschen, die Hilfe und Unterstützung benötigen, und diese Hilfe sollte bedingungslos sein. Denn sonst ist das Leid der sexuellen Gewalt als Kind von jemandem, der pädophil ist, weniger wert!