Max gehörte zu den ersten Patienten, die im Jahr 2006 am Therapieprojekt Kein Täter werden der Berliner Charité teilgenommen haben. Hier erzählt er im Juni 2009 von seiner Vorgeschichte. Max erklärt, wie er beinahe straffällig wurde, wie er zur Charité fand und was für Erfahrungen er dort gemacht hat.
von Max
Als ich 2005 vom Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ hörte (etwa parallel zum Erkennen meiner Neigung), sprach ich mit meinem Neurologen darüber, bei dem ich wegen meines Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms (ADS) in Behandlung war. Er riet mir zunächst zu einer Einzeltherapie bei einem Kollegen, den er für sehr gut hielt. Also ging ich dorthin… und traute meinen Ohren kaum: „Schaffen Sie sich 'ne Freundin an, dann gibt sich das schon.“ – dem Sinne nach hat er das so gesagt. Und darüber hinaus überdeutlich demonstriert: „Ich will Sie nicht therapieren. Lassen Sie mich in Ruhe.“ – Wie blöd kann man eigentlich sein? Statt zu sagen: „Da bin ich nicht kompetent, fragen Sie mal woanders“? Nun ja…
Anschließend habe ich mich natürlich beim Projekt Dunkelfeld der Charité gemeldet. Zuerst von einer Telefonzelle aus, um bloß nicht erkennbar zu sein. Ein Termin für ein Telefoninterview wurde ausgemacht und ein paar Tage später erreichte mich eine Mitarbeiterin am Handy. Und so lief ich die nächste halbe Stunde vor Stress schwitzend mit dem Handy am Ohr in einer Grünanlage beim Alex auf und ab. Zuerst war ich sehr irritiert, da ich nicht im Traum damit gerechnet hätte, dass eine Frau diese Interviews durchführen würde!!! Aber ich gewöhnte mich daran. Sie gewann mit der Zeit sogar meine höchste Achtung. Einmal vor der Kraft, die sie dort hinein gesteckt haben mochte, sich mit dem Thema ernsthaft zu befassen. Und zum Anderen hat mich ihre Professionalität (und die des ganzen Teams) wahnsinnig beeindruckt. Ich mag es nicht, wenn Leute mit Vorurteilen an Andere heran gehen – das habe ich schon immer abgrundtief gehasst. Mir selbst, so dachte ich, würde so etwas nicht passieren. Aber hier lernte ich noch ein paar Schritte weiter zu gehen, was meine eigene Weltsicht anging … nicht zuletzt auch in den Vorurteilen mir selbst gegenüber.
Es folgten ellenlange Fragebögen für die Studie. Beim Bearbeiten hab ich besonders vor Beginn der Therapie regelmäßig Blut und Wasser geschwitzt. Erstens hasse ich persönlich Fragebögen allgemein, auch weil mein ADS mir das klare Verstehen und Beantworten solcher Fragen schwer macht. Und zweitens zwangen sie mich, „ganz tief in der Scheiße zu graben, die sich am Grunde meines Hirns abgelagert hat“ – so habe ich es zeitnah mal formuliert. Aber es hat etwas gelöst: Jedes Mal bin ich wie unter Drogen singend und pfeifend zum Bahnhof Friedrichstraße zurück getänzelt. Bis Heute kann ich nicht genau erklären, warum. Es war eine seltsame diffuse Erleichterung, wenn sie auch nur mit der ekligen Gewissheit wuchs: Ich bin pädophil!
Sonst verkrafte ich solche Sachen eigentlich ganz gut, schaffe es, die meisten Dinge des Lebens eher nüchtern zu sehen und damit umzugehen ohne überzureagieren. Nicht zuletzt deshalb – so denke ich – habe ich es auch in jungen Jahren geschafft, mich konsequent an eine (besonders für ein Kind) sehr unangenehme Diät zu halten. Bei der Pädophilie aber, stieß ich erstmals an die Grenzen meiner Psyche: Ich wurde einer Therapiegruppe im ersten Durchgang zugeordnet. Ich fand es super, dass ich gleich in Therapie kam. Weniger, dass ich mit anderen Pädophilen zusammen sitzen müsste, vielleicht gar mit tatsächlichen Kinderschändern!!
Der erste Termin stand fest. Früh am Morgen machte ich mich wie gewohnt auf den Weg zur Uni, abends wollte ich zur ersten Sitzung in die Charité. Zuerst war ich noch ganz locker, aber je näher ich dem Bahnhof kam, desto schlechter wurde mir. Im Zug angekommen bestand meine erste „Amtshandlung“ darin, schleunigst eine Toilette aufzusuchen und mich dort zu übergeben. Danach wollte ich zunächst immer noch nach Berlin weiterfahren, doch eine Bekannte, die ich bei der anschließenden Sitzplatzsuche traf, wies mich darauf hin, dass ich ziemlich blass sei, und gab mir den guten Rat, wieder zurück zu fahren. Das tat ich dann auch. Bis zum Abend war mir weiterhin speiübel, am nächsten Tag jedoch war alles wieder gut. Und so verpasste ich, allein wegen dieser blöden Angst, die erste Therapiesitzung, die … ja, von der ersten Therapie, von der tatsächlich mein Leben abzuhängen schien. Denn eins war mir klar: Wenn ich die Neigung nicht beherrschen lernte und zum Kinderschänder würde, hätte mein Dasein damit seinen absoluten Wert verloren. Ich würde zwar weiter existieren, aber: Das würde doch nicht mehr ICH sein! Oder? – Nicht nach meiner Definition jedenfalls.
Ab dem zweiten Termin lief der Besuch der Therapie jedoch glatt, ich bin kein zweites Mal körperlich zusammengebrochen. Glatt laufen, das heißt: Nicht umsonst bezeichne ich die Zeit der Therapie im Nachhinein als mein persönliches „Jahr der Hölle“. Aber lieber sage ich es so: Jedem Pädophilen, der behauptet, Kinder wirklich zu lieben, rate ich: Mach eine Therapie!!! Wenn du da durchhältst, muss wirklich starke Liebe dahinter stehen…
Die Therapie hilft, diese Liebe in nützliche Bahnen zu lenken! Nicht zuletzt deshalb gehört sie zu den Dingen, bei denen es sich absolut lohnt, durchzuhalten, auch wenn man zwischendurch mal zweifelt, ob all die Mühe einen Sinn macht, ob nicht eh alles beim Alten bleibt! Was ich in der Therapie gelernt habe, zähle ich zu meinen wichtigsten Erfahrungen überhaupt. Und die Ergebnisse zum Besten, was mir je passiert ist! (siehe unten) Wo liegt also das Problem? Nun, zum Beispiel darin, die eigenen Fantasien und pädophilen Empfindungen bewusst zu sehen und zu analysieren. Sich selbst klar zu machen: „Ja, was würde das denn mit einem echten Kind machen, was mir da so vorschwebt? Was da so schön ist in meinem Kopf?“ Mir selbst klar werden: Auch das bin ich! Und sich dann wie Münchhausen selbst aus dem Loch heraus ziehen: Trotzdem muss ich das nicht an Anderen auslassen!! Die geht das doch gar nichts an!
Der erste Schritt ist unglaublich schwer. Weil man dann richtig sieht, in was für einem Loch man tatsächlich steckt. Für mich war er mit viel Selbstverachtung verbunden. Dann musste ich lernen, dass nicht diese Empfindungen mich bewerten, sondern dass allein mein Handeln in diesem Sinne gut oder schlecht sein kann, schadet oder auch nicht, wenn ich das jetzt mal in meine Worte fasse. Nur das ist im Leben und für Andere von echtem Wert. Das stimmt auch mit meiner religiösen Überzeugung überein, die mein Weltbild prägt, in das ich die Therapie übrigens hervorragend eingliedern konnte. Ich habe weder meinen Glauben korrumpiert noch die Therapie zurechtbiegen müssen, damit alles „passt“. Beide ergänzen für mich ein gemeinsames Bild.
Es war wie gesagt sehr schwer, hat aber insgesamt die Grundlage für einige der absolut besten Wendungen in meinem Leben gelegt. Ausschließlich positiv empfand ich allerdings die größere Klarheit über die „Funktionsweise“ menschlicher Sexualität, die uns vermittelt wurde. Was passiert mit mir? Welche Bedeutung hat Sex für ein Paar eigentlich? (Was anderswo leider oft auf die Fortpflanzung oder den mythischen „gemeinsamen sexuellen Höhepunkt“ reduziert wird) Eine solche Aufklärung wünschte ich mir oft auch für die nicht-pädophile Allgemeinheit. Mir scheint manchmal, dass sie dort auch nicht schaden könnte. Weiter ist es schön, die Gedanken besser kontrollieren zu können – und auch Kinder so sehen zu lernen, ohne dass einen sexuelle Impulse und Gedanken überschwemmen. Und langsam sicher zu werden: „Nein, du wirst ihnen nicht wehtun.“ Das mit der Sicherheit dauerte bei mir allerdings ziemlich lange. So schrieb ich zwar bereits zum Abschluss der Gruppentherapie, als wir um ein Resümee zur Bedeutung dieses Therapieangebots für uns und unsere Sicherheit im Umgang mit der Neigung gebeten wurden:
Kurz: Es ermöglicht mir erst den eines Menschen würdigen Umgang mit der Pädophilie! Nach diesem Jahr Therapie erst kenne ich Möglichkeiten, (klarer) zu sehen, was in mir vorgeht, und darauf schon auf gedanklicher Ebene zu reagieren – statt auf dieser Ebene wie ein Tier unwissend Impulsen ausgeliefert zu sein. Jetzt kann ich an meinem Denken selbst gezielt arbeiten.
Trotzdem begann ich erst nach Ende der Therapie mich selbst überhaupt wieder als Mensch zu sehen. Das musste alles erst sacken und verarbeitet werden. Ein wirklich gesundes Selbstwertgefühl habe ich erst zurück erlangt, als die Nebenwirkungen (Depressionen) der medikamentösen Behandlung aufhörten, die ich zu Beginn und über lange Zeit noch als sehr hilfreich erlebt hatte. Und zudem wurde ich kurz darauf sogar von meiner größten Schuld befreit: Vor wenigen Monaten erfuhr ich nämlich, dass von meinem einzigen tatsächlich versuchten Missbrauch – es war nur bis zum Annäherungsversuch gekommen, aber so, dass ich nicht sicher war, wie das Mädchen das aufgenommen hatte – vermutlich kein Schaden für sie ausgegangen ist! Zuvor hatte ich 7 Jahre lang absolut nichts mehr von ihr gehört, was ja auch etwas hätte bedeuten können.
In diesem Moment habe ich – so fühlte es sich an – mein Leben geschenkt bekommen! Eine zweite Chance, ohne Schulden neu zu beginnen. Noch immer treibt es mir Tränen in die Augen, das zu schreiben, und noch immer danke ich oft im Gebet dafür, dass sich diese eine Sache, die mein Leben auf Dauer belastet hätte, praktisch in Luft aufgelöst hat – für das Mädchen wie auch für mich. Denn gegen diese eine Sache hätte ich auch nach bester Therapie nichts mehr tun können. Mensch bin ich ja deshalb, weil ich steuern kann, was ich tue, also meine Zukunft. Nur gegen Vergangenes sind wir tatsächlich machtlos.
Bei all den Überlegungen kam mir jedoch auch immer wieder die Umkehrung dieses Gedankens in den Sinn: Wenn ich meine Zukunft von alten Fehlern und von Impulsen bestimmen lasse und mich nicht gegen falsche Impulse wehre, was bin ich dann mehr als ein Tier?
In diesem Sinne,
Euer Max
© 2009 Max