Doppelt-Betroffene machen sehr häufig ablehnende Erfahrungen, wenn sie auf der Suche nach professioneller therapeutischer Hilfe wegen Traumafolgen sind. Psychotherapeut:innen verweisen gerne auf spezialisierte Angebote wie "Kein Täter werden". Diese lehnen ab, weil sie kein Angebot der Traumatherapie haben und ihr Angebot für Doppelt-Betroffene zumeist nicht passend ist.
Kaum ein Psychotherapeut fühlt sich kompetent genug oder zuständig - und da deutschlandweit die Nachfrage nach Therapieplätzen das Angebot ohnehin bei weitem übersteigt, können Therapeut:innen sich aussuchen, mit welchen Klient:innen sie arbeiten wollen. Pädophile Menschen gehören in der Regel nicht dazu, zumal die Ausbildung von Therapeut:innen auf diese Thematik auch nicht vorbereitet.
Im Gegenteil, haben viele Therapeut:innen sogar die gleichen Vorurteile im Kopf wie das Gros der Gesellschaft, verwechseln Pädophilie mit Missbrauchstaten - und möchten damit schlicht nichts zu tun haben (¹). Nicht selten erleben pädophile Menschen bei der Suche nach einem Therapieplatz eine solch offene Ablehnung, dass ihre psychische Situation sich zusätzlich noch verschlimmert.
Es gibt also faktisch keine Hilfsangebote für Menschen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben und selbst pädophil sind. Eine therapeutische Hilfe ist meistens nur dann möglich, wenn man großes Glück hat - oder die Pädophilie verschweigt. Dabei lebt ja insbesondere eine Therapie von der Möglichkeit sich öffnen zu können.
Markus hat hier seine persönlichen Gedanken aufgeschrieben.
Als Kind habe ich Missbrauch erlebt und später, als ich in die Pubertät gekommen bin, meine sexuelle Präferenz entdeckt. Die Zeit des Coming-In ist für viele Pädophile eine schwere Zeit, die von Selbsthass und großen Ängsten begleitet ist. Zusätzlich zu dem erlebten Missbrauch und den belastenden Erinnerungen daran die Erkenntnis zu erlangen, Kinder erregend zu finden, war für mich sehr schwer.
Einerseits eine Abgrenzung zu Täter:innen zu wollen und gleichzeitig die eigenen Gedanken und Gefühle gegenüber Kindern akzeptieren zu lernen hat mich damals total überfordert. Es war dann so, dass ich die Pädophilie verdrängt habe und meine Missbrauchsvergangenheit auch. Beides passte mir nicht in mein Leben und ich wollte als junger Mann einfach nur leben. Als ich dann SuH und GSA gefunden habe, fing meine innere Heilung an. Ich lernte mich selbst besser kennen und konnte meine Persönlichkeit ganz anders betrachten. Heute weiß ich, dass man seine Vergangenheit ebenso annehmen muss wie seine sexuellen und romantischen Gefühle und Phantasien.
Denn mich unterscheidet von den Tätern, die mir sexuelle Gewalt angetan haben, die Tatsache, dass ich weder einen Missbrauch begangen habe, noch in Zukunft einen begehen werde. Meine Gedanken sind frei, Genauso frei wie mein Gewissen.
Traumatisierung und Resilienz:
Nicht jeder, der belastende und schwierige Ereignisse erlebt, wird dadurch auch traumatisiert. Das Stichwort lautet Resilienz: Resilienz beschreibt die Fähigkeit, trotz einer sehr belastenden und schwierigen Situation in der Lage zu sein, zu dem „normalen“ Zustand zurückzukehren und damit die normale Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Experten gehen davon aus, dass jeder seine Resilienz stärken kann.
Wenn es durch die Traumatisierung zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen ist, dann kommt es häufig zu den folgenden Beschwerden:
-Somatische Beschwerden wie Herzrasen, Panikattacken und Angstzustände
-Erleben von Erinnerungsfragmenten (Flashbacks) an die belastende Situation
-Rückzug und Depression
-Vermeidung von angstauslösenden Situationen
In meinem Fall hat sich keine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Aber auch dann können Beschwerden bestehen die den Alltag einschränken. Ich litt viele Jahre unter Flashbacks und Angstzuständen. Auch war es mir nicht möglich, mit dem Auto in die Nähe von Orten zu fahren, an denen die Übergriffe damals stattgefunden haben. Die Folgen und die Stärke einer Traumatisierung zeigen sich immer individuell.
Die Selbstheilungskräfte des Körpers sind auch nicht zu unterschätzen. In einer akuten psychischen Belastungssituation hat der Körper auch eine Schutzfunktion in Situationen, in denen er das Erlebte in dem Moment nicht bewältigt werden kann. Der Faktor Zeit hat auch eine wichtige Bedeutung und eine Traumatisierung muss nicht zwangsläufig zu psychischen Einschränkungen führen. Es ist möglich seine Lebensqualität zurückzugewinnen.
Die Folgen von Traumatisierung und die bereits erwähnte defizitäre Situation zu Hilfsangeboten lassen vielleicht wenig hoffen. Jedoch möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass eine Traumatisierung und Traumafolgestörungen nicht ein Leben lang bestehen müssen. Ich habe nie eine fundierte Traumatherapie gemacht und die alleinige bewusste Auseinandersetzung mit meinen Erlebnissen und die Möglichkeit mit vertrauten Menschen darüber reden zu können, hat mir schon sehr geholfen.
In unserem GSA-Forum haben wir eine Liste von Sexualtherpeut:innen verlinkt. Auch an dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Liste verweisen: Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung. Wir empfehlen das Buch „Herausforderung Pädophilie“ an dem Max und NewMan auch mitgewirkt haben. Es ist sehr verständlich geschrieben und bietet viele Informationen und Gedanken zur Selbstreflexion.
Außerdem kann eine Traumatherapie hilfreich sein und den Weg der Verarbeitung ebnen. Aber auch die Selbsthilfe kann ein wichtiger Anker sein. GSA ist auch ein Ort für doppelt Betroffene!
Ich finde es sehr wichtig, hier auf diese oft besonders belastende und schwierige Thematik hinzuweisen. Doppelt-Betroffenen möchte ich sagen:
Nehmt eure Gefühle an und bearbeitet eure Vergangenheit. Macht eines nach dem anderen und verdrängt keine Empfindungen. Reden hilft beim Verarbeiten - ebenso wie schreiben. Ihr seid nicht alleine und eure Vergangenheit kann euch darin bestärken, über denjenigen zu stehen, die euch sexuelle Gewalt angetan haben. Setzt euch nicht unter Druck und setzt euch nicht gleich mit Täter:innen. Ja, ihr seid Opfer von sexueller Gewalt und ja, ihr seid pädophil. Ihr könnt trotzdem ein glückliches Leben führen, eure Vergangenheit verarbeiten und die Gegenwart akzeptieren.
Das wünsche ich euch, denn das hätte ich mir damals gewünscht.
©2023 Markus