Wie Marco seine 15 Grundsätze niedergeschrieb hat auch Max im Sommer 2007 für sich eine Art Selbsthilfe-Leitfaden entwickelt, der ihm nach seiner Therapie an der Charité pber einige Jahre hinweg dabei half, Kontaktsituationen mit Kindern realistisch einzuschätzen und mögliche Probleme zu erkennen. Ende Juli 2010 wurde er auf SuH veröffentlicht. Zwar hat er diese Strategien auschließlich für sich und seine ganz persönliche Situation entwickelt, trotzdem könnten sie wertvolle Anregungen auch für andere Pädophile enthalten.

Meine 10 Strategien

Bis vor vier Jahren [2007] habe ich fast nur auf Selbstbeobachtung gesetzt, um Situationen im Umgang mit Kindern zu bewerten. Hauptsächlich danach, ob ich die Situation als sicher oder als unsicher einstufe. Eine typische Frage aus der Gruppentherapie lautete: „Warum willst du etwas tun, wobei du dich nicht sicher fühlst?“ Dieses Entscheidungskriterium ist sehr nützlich, aber für die Praxis erwies es sich schon ein paar Mal als zu schwammig und nicht stabil genug, wenn z. B. Gefühl und Verstand eine Situation unterschiedlich bewerten: Mein Gefühl sagt „unsicher!“, der Verstand sagt „sicher!“. Wonach gehe ich in so einem Fall? Erfahrungsgemäß waren es mal mein Verstand, mal mein Gefühl, die am Ende recht behielten.

Als in einem Urlaub 2007 (wo ich mit einer Familie drei Tage unter einem Dach wohnte) die Distanz zu den Mädchen abnahm und ihr Zutrauen wuchs, wurde es immer schwerer, die Frage nach der Sicherheit aus dem Moment heraus klar zu beantworten. Für eine sichere Selbstbeherrschung brauchte ich definitiv mehr System, als bis dato aufgebaut war. In Nachbetrachtung des Urlaubs habe ich die unklaren Momente sowie einige hypothetische Situationen (was hätte passieren können?) durchdacht und nach Gemeinsamkeiten gesucht, um für mich persönliche Normen oder Grenzwerte festzulegen. Falls es irgendwann wieder zu kritischen Situationen kommen sollte, wollte ich auf klare und zuvor durchdachte Handlungsanweisungen zurückgreifen können. Dazu habe ich mir bestimmte Stichpunkte und Schlagworte zerechtgelegt, die mir eine schnelle und zuverlässige Orientierung bieten und helfen es möglichst gar nicht erst kritisch werden zu lassen. Hier meine Strategien, die mich seither begleiten:

Allgemeine Verhaltensregeln:

1.) Geh nicht zum Kind. Lass es selbst kommen!
Nimm dich zurück und lass die Initiative zum Kontakt lieber vom Kind ausgehen als von dir selbst. Wenn ein Kind das Bedürfnis hat, sich mit dir zu beschäftigen, dann wird es normalerweise von selbst kommen. Mit dieser Einstellung kann ich unsere typischen Wahrnehmungsfehler umgehen ‒ und damit auch die Gefahr, mich dem Kind und seiner Familie aufzudrängen. Wenn das Kind tatsächlich zu mir kommt und etwas von mir will, wobei ich mir meiner nicht sicher bin, z. B. auf den Arm oder den Schoß, dann trifft Punkt 6 zu („Blocke den Kontakt“).

2.) Bewusstmachung: Mehr als Aufmerksamkeit und Freundlichkeit will die Kleine nicht
Selbst wenn das Kind sehr gerne mit dir zusammen ist: Halte dir immer bewusst, dass es hier um eine kindliche Zuneigung geht. Die Art, wie du evtl. für das Kind wichtig wirst, ist eine andere als unter ebenbürtigen Erwachsenen. Kinder „ernähren“ sich von der Aufmerksamkeit, die man ihnen schenkt, aber sie verlieben sich nicht so, wie wir als Erwachsene das tun. Mache dir das bewusst, wenn diese Illusion irgendwann auftauchen sollte, und behalte im Auge, dass sich deine Emotionen in diesem Falle klar von denen des Kindes unterscheiden.

3.) Bewusstmachung des Vertrauens des Kindes und meiner Verantwortung
Mir ist es eine große Hilfe, wenn ich ab und zu darüber nachdenke, wie sehr das Kind mir vertraut, denn ohne Vertrauen würde es meine Nähe ja gar nicht suchen. Die gefühlte Verantwortung gegenüber einem Kind erwächst für mich genau aus diesem Vertrauen; diesem großen Geschenk des Kindes, das ich keinesfalls verletzen möchte. (siehe auch: Was motiviert euch?)

4.) Lenke die Gedanken auf etwas anderes, wenn sie in eine ungute Richtung laufen
Wenn mir im Kontakt zu einem Kind sexuelle Assoziationen in den Sinn kommen (wenn ich z.B. unwillkürlich beginne, das Kind im Geiste auszuziehen), dann sage ich dazu in Gedanken deutlich „Nein!“ und konzentriere mich verstärkt auf etwas anderes, z. B. auf das Spiel oder das Gespräch, das gerade läuft. Gelingt es mir auch damit nicht, die sexuellen Gedanken zu stoppen, dann verlasse ich die Situation!

5.) Gebet
Entsprechend meinem Glauben bin ich überzeugt, dass auch unser aller Schöpfer mir hilft, wenn ich mich anstrenge ihm zu gefallen. Vor allem dann, wenn meine Kraft ganz plötzlich und unerwartet gefordert wird, suche ich seine Hilfe sofort in einem Stoßgebet. Wie gesagt, das ist meine Überzeugung. Wer will, kann sich gern ebenfalls davon überzeugen.

Hilfen für den Augenblick:

6.) Wenn ein Kontakt dich vermutlich überfordert, dann blocke ihn oder lenke ihn um!
Damals im Urlaub ist die Kleine immer wieder auf mich zugekommen, so als wenn sie etwas von mir wolle, hat dabei aber nicht gesagt, worum es ihr geht. Das tat sie immer dann, wenn ich irgendwie mit ihr auf Augenhöhe kam. Da mir keine angemessene Reaktion darauf einfiel (→ Überforderung!) bin ich künftig schweren Herzens einfach aufgestanden, wenn sie so auf mich zugetappelt kam – und siehe da: sie verlor jeweils das Interesse an mir. Auf diese Weise habe ich die Situation entschärft und mein Problem gelöst. Mittlerweile würde ich solche Situationen anders lösen. Ich würde das Mädchen wohl entweder ablenken oder auffordern, mir etwas zu erzählen. Mit diesem Vorgehen wäre ich damals aber noch nicht zurechtgekommen.

7.) Der Gedanke: „Das ist NICHT das Objekt deiner Begierde!“
Diese Idee hatte ein Mitpatient aus meiner Therapiegruppe: Im Falle einer Situation, wo ich mich akut von einem Kind „angemacht“ fühle, solle ich daran denken, dass das Mädchen – egal wie sexy es da vor mir in Unterwäsche stehen mag – einfach nicht der Figur aus meiner Fantasie entspricht, mit der ich mir sexuellen Kontakt wünschen würde und mit der das jetzt möglich wäre. Dieses reale Kind ist NIEMALS ein „Objekt für meine Begierde“ (Nebenbei bemerkt: Als menschliches Wesen hat es sowieso immer „Subjekt“ aber niemals „Objekt“ zu sein! Wenn doch, dann läuft schon etwas falsch.), noch hat es sonst irgendetwas mit der Fantasiefigur gemein, die mein Kopf gerade entwirft. Es ist eben NICHT auf sexuellen Kontakt erpicht und will KEINESFALLS begehrlich angestarrt werden!

Für den Notfall:

8.) Volle Körperspannung und bewusste Entscheidung über jede kleine Bewegung
Diese Anspannung habe ich für mich als wirksame Methode entdeckt, um klare bewusste Entscheidungsgewalt über jede noch so kleine Bewegung zu erhalten. Dazu spanne ich alle Muskeln gleichzeitig an (so dass ein jeder seinen Gegenspieler blockiert), versteife mich und lasse nur einzelne Bewegungen zu, die mir sicher und unbedingt nötig erscheinen. Ich möchte nicht, dass mir jemals auch nur kurz „die Hand ausrutscht“. Dabei habe ich die beiden letzten Punkte im Hinterkopf.

9.) Sei dir bewusst, an welchem Schaden du gerade ganz dicht dran bist!
Mach dir klar, dass du momentan vor einem Abgrund stehst: vor der Grenze zum tatsächlichen Missbrauch. Halte dir bewusst, welch großer Schaden damit nur einen Wimpernschlag entfernt liegt. Habe klar vor Augen, wie weitreichend jede deiner Entscheidungen jetzt sein wird. Ein Ausrutscher ist hier kein bloßer Fehler, sondern so viel mehr!

10.) Völliger Ausschluss der Option, das Kind im Genitalbereich anzufassen (im Handeln UND in Gedanken!)
Auch darüber habe ich bis Sommer 2007 tatsächlich immer aus dem Moment heraus entschieden. Ein riskanter Selbstbetrug, denn darüber muss man erst gar nicht entscheiden: Es ist tabu! Trotzdem kommt dieser dumme Gedanke manchmal auf. Dann muss diese Entscheidung, wie ich damit umgehe, schon vorher getroffen sein. Unter Mit Schock zum Glück [jetzt: Wie ich zum ersten Mal ein Kind auf dem Arm hielt] beschreibe ich, wie mir dieser Vorsatz half, eine konkrete Versuchung abzublocken. Dieser Ausschluss ist mir mittlerweile so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sich kritische Situation fast von selbst entschärfen: Als ich neulich mit der Tochter von Bekannten spielte und dieser Gedanke kurz aufkam, fühlte ich mich augenblicklich wie gelähmt. Dieses Warnsignal habe ich registriert und mich an Punkt 4 („Lenke Gedanken um“) erinnert. Auf diese Weise kam ich schnell wieder von meiner Aufregung herunter, so dass ich mit dem Mädchen sogar weiter spielen konnte.

Anmerkungen:

Was ich mit „Für den Notfall“ meine, sollte klar sein: Es gibt Situationen, die man normalerweise meiden würde, weil man weiß, dass sie einen überfordern. Durch Zufall können sie urplötzlich aber doch mal über einen hereinbrechen. Das Mädchen zum Beispiel, das ich auf dem Arm hatte – wozu ich mich bewusst entschieden hatte – und das beim Heruntersetzen mit der Strumpfhose an mir hängen blieb, was niemand voraussehen konnte. Völlig unerwartet und auf mich gestellt stand ich damls vor der Aufgabe, dem Mädchen einen Karabinerhaken aus der Strumpfhose zu lösen (siehe: Wie ich zum ersten Mal ein Kind auf dem Arm hielt). Mit einem Stoßgebet und den letzten drei Notfall-Strategien konnte ich die Situation bewältigen.

Ein weiterer Punkt (der sich nicht auf konkrete Kontakte bezieht, weshalb ich ihn nicht in die obige Liste eingereiht habe) ist folgender: Untergrabe niemals die Bindung zwischen Kind und Eltern! Eine typische Täterstrategie ist es ja, ein Kind Stück für Stück von den Eltern weg zu ziehen, z. B. mit Geschenken und mit Kritik am elterlichen Erziehungsstil. Ich habe nicht vor, eine Tat zu begehen, aber mit Kindern über Fehler der Eltern zu diskutieren, hätte dennoch den gleichen Effekt. Deshalb habe ich mir die Grenze gesetzt, Eltern nicht vor ihren Kindern zu kritisieren. Das kostet manchmal ganz schön Selbstbeherrschung, wenn man Kinder ungerecht behandelt sieht. Die Eltern haben das Erziehungsrecht und ich darf nicht eingreifen, solange sie nicht körperlich/seelisch verletzend werden. Es geschieht schon oft genug ohne mein Zutun, dass Kinder mir was erzählen mit dem Nachsatz: „Aber erzähl's nicht Mama weiter!“ Aber ich darf nicht wichtiger werden als seine Eltern, weil ich damit a) schon etwas im Leben des Kindes zerstöre, und b) meine eigenen Schutzmaßnahmen untergrabe (Ich könnte nicht mehr allen Versuchungen ausweichen, ohne das Kind dadurch auch zu verletzen). Wenn ich das für nötig halte, spreche ich später allein und respektvoll mir den Eltern.

Was andere angeht möchte ich betonen, dass diese Liste auf MICH getrimmt ist. Sie soll MIR ein Stichwortgeber sein, der mir hilft die dahinter stehenden Strategien schnellstmöglich umzusetzen. Mit Listen anderer Leute habe ich demgegenüber das Problem, dass ich ihre Gedanken längst nicht so schnell erfassen kann wie meine eigenen. Das „Ampelmodell“ der Charité oder auch Marcos 15 Grundsätze beinhalten sehr gute Gedanken, die ich auch nutze, die aber in dieser Formulierung eben nicht meine sind. Das selbe Problem dürften andere mit meiner Liste haben: Solche Modelle sind sehr persönlich und können leicht falsch verstanden werden, wenn man sie unreflektiert auf sich selbst überträgt. In meiner persönlichen Version, die ich zu jedem Urlaub mitnehme, steht in Punkt 2 zum Beispiel „Liebe und Aufmerksamkeit“ – was ich mich so gar nicht zu veröffentlichen traue, weil es in diesem Kontext leider auch missverstanden werden kann.

Ich möchte jedem raten, der sich neu mit einer pädophilen Neigung auseinandersetzt: Versuche nicht einfach zu erreichen, was jemand anderes geschafft hat. Das wäre nicht der richtige Maßstab. Beobachte DICH und finde DEINEN eigenen Weg!

© 2010 Max